Krampl, Peter: Komplexe Nichtlineare Optik - Theoretische Charakterisierung der 2- Photonen Resonanz nichtzentrosymmetrischer Materie
TitelAbkürzungsverzeichnisDanksagungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Anhang

Kapitel 6

SBHM- Modell: Kollektives Verhalten NZS gebundener Elektronen

6.1            Einführung

In diesem Abschnitt wird das kollektive Verhalten der Oberflächenelektronen anhand des Si- SiO2 Materialsystems untersucht. SHG und Hohe Harmonische im Si- SiO2 Materialsystem kann an einer Schnittstellenregion, welche nur wenige Atomlagen dick ist, erzeugt werden, da dort aufgrund asymmetrisch angeordneter Bindungselektronen die Inversionssymmetrie gestört ist und sich so vom Bulk unterscheiden. Aus diesem Grund basiert der mathematische Formalismus für SHG und hohe Harmonische für NZS- Materie auf den Eigenschaften jedes einzelnen Bindungselektrons im asymmetrischen Potential. Die Generation von SHG und hohen Harmonischen kann vorteilhaft durch das vereinfachte Bindungs- Hyperpolarisations- Modell, engl. Simplified bond- hyperpolarizability model (SBHM) beschrieben werden. Der signifikante Vorteil dieses Modells liegt darin, dass die ganze NLO-Theorie auf Atomniveau formuliert wird, welche die Responses aus den Termen der Bindungs- Hyperpolarisationen und der Kristallsymmetrien unter Einbeziehung der anisotropen Responses der Bindungsladung ergeben. Es werden die ursprünglichen vereinfachenden Annahmen von Powell et al für das SBHM zugrunde gelegt, welche hinreichend genau sind um SFG beschreiben zu können. Dabei ist für eine gegebene Bindung anzunehmen, dass die dazugehörige Ladungsbewegung entlang der Bindungsrichtung ist, welches die Annahme impliziert, dass die Bindungen rotationssymmetrisch sind.

 

6.2            SHG Response für (111)- Si- SiO2

Für die spezielle Geometrie von singulären (111) Oberflächen gibt es zwei Klassen von Schnittstellenbindungen: Eine Bindung senkrecht zur Schnittstellenebene, und drei gleichwertige Bindungen zwischen den Atomen der Schnittstellenebene und der Atomebene darunter, wie in Abb. 61 links gezeigt wird. Für vicinale Oberflächen, wird sich eine der drei hinteren (down) Bindungen nicht mehr gleichwertig zu den beiden anderen Bindungen verhalten. Wenn der vicinale Schnitt von 5° gegen die  Richtung geht, wird eine der "back" Bindungen eine "step" Bindung, d. h. diese Bindung liegt in der Schnittebene. In diesem Fall wird der vertikalen "up" Bindung eine komplexe Hyperpolarisation  zugewiesen und den drei gleichwertigen hinteren Bindungen eine Hyperpolarisation .

 

 

Abbildung 61 zeigt die tetraedrische Elektronenstruktur von (111) Si- SiO2- Oberflächen, welche gewöhnlich eine "up" Bindung und drei "back" Bindungen aufweisen (links). Zum Vergleich ist die räumliche Anordnung der Elektronenstruktur für (001)- Oberflächen gezeigt (Rechts). Die beiden "upper" Bindungen befinden sich in der xz- Ebene mit den Bindungswinkeln γu und die beiden "down" Bindungen sind in der yz- Ebene orientiert mit den Bindungswinkeln γd. Dabei wurde die Konvention benutzt, in der alle Bindungen vom Zentral-Atom wegzeigen und in die äußerste Ebene gerichtet sind.

 


Die Bindungsanordnungen an den Schnittstellen selbst sind die gleichen, wie jene des Bulkmaterials und das abgestrahlte Feld ergibt sich aus der kohärenten Überlagerung der Strahlung von jeder Bindung, welche im Rahmen der Dipolmomentnäherung berechnet wurde.

Der Modellansatz des SBHM und die Hauptresultate für nichtzentrosymmetrische Materie können wie folgt zusammengefasst werden. In den Bindungen werden die Hyperpolarisationen erzeugt, die von der Art der Bindung (up, back, step) abhängig sind. Die Dipolkomponenten gerader Ordnung  sind entsprechend gekoppelt mit den longitudinalen Hyperpolarisationen der Elektronen der j- ten Bindung im anharmonischen Potential. Diese Dipolkomponenten können für NZS Systeme geschrieben werden mit:

 

(6.1)

 

Die einzelnen Dipolmomente  jeder beteiligten Bindung j des n- ten tetraedrisch koordinierten Silizium- Zentralatoms mit , können zum Gesamtbeitrag der Oberfläche aufsummiert werden. Damit erhält man das Dipolmoment, welcher für den diskreten und kontinuierlichen Fall als Mittelung über die Eigenschaften einer Einheitszelle formuliert werden kann:

 

(6.2)

 

mit  als paralleler Beitrag der Hyperpolarisation. Die beobachtbaren Intensitäten  im Fernfeld, d. h. weit von der Probe entfernt, sind proportional zum Betragsquadrat  der Felder , welche die Summen der kohärenten Strahlungsfelder sind, die durch die verschiedenen Bindungen induziert werden. Diese Felder können für nichtzentrosymmetrische Makromoleküle beschrieben werden mit:

(6.3)

 

Um das System auf messbare Größen zurückzuführen, können wir mit der Polarisationsdichte argumentieren und erhalten für Makromoleküle:

 

(6.4)

 

mit  als Einheitstensor (2N+1)- ter Stufe und  als Einheitswellenvektor in Richtung der bj, welcher der Beziehung   genügt. Insgesamt ist  der Projektionsoperator der emittierten Strahlung, mit  und  als Einheitsvektoren parallel zu den Strahlungsfeldern entsprechend ihrer jeweiligen  Polarisationen. Diese Gleichungen haben die Form von externen Projektionsoperatoren, welche auf die Produkte von bj wirkt. Diese Operationen stellen ein Rezept bereit um eine Untergruppe von kompletten Sätzen von Funktionen (xxx, xxy etc. für SHG) zu generieren, die konsistent sind mit der Symmetrie der Schnittstelle. Die späteren Berechnungen gestalten sich vorteilhaft, wenn eine der Bindungen und die z-Achse normal zur Schnittstelle orientiert sind und eine der drei gleichwertigen Bindungen in der xz-Ebene liegt. In diesem Fall erhalten wir für die "up", "step" und den zwei gleichwertigen "down" Bindungen für jedes vierfach-koordinierte Schnittstellenatom in kartesischen Koordinaten:

 

(6.5)

 

Für die Analytische Form der HHG Intensitäten für singuläre (111) Schnittstellen sind die Bindungswinkel zu berücksichtigen. Die Bindungen bj von (111) Schnittstellen in Kristallographischen Koordinaten lauten:

 

up Bindung:

(6.6)

step Bindung:

 

(6.7)

 

back Bindungen:

 

(6.8)

 

wobei eine der "back" Bindungen in die xz-Ebene gedreht wurde, die der Koordinatentransformation bezüglich der kartesischen Koordinaten mit  und bezüglich der Bindungswinkel- Koordinaten mit   genügt. Dies bewirkt eine Transformation der y- Koordinate, die in der Mitte der Verbindungslinie zu liegen kommt, mit . Der Bindungswinkel β entspricht dem Tetraederwinkel mit βt = 109°. Die Wellenvektoren  und  beschreiben das einfallende Feld und das zu beobachtende emittierte Feld relativ zu den Laborkoordinaten. Das einfallende und das beobachtbare Feld in den Laborkoordinaten vorliegend, stehen senkrecht aufeinander und können mit s- (TE-) und p- (TM-) polarisierten Moden beschrieben werden. Die zu berücksichtigenden Komponenten sind für s- polarisiertes Licht  und  und für p- polarisiertes Licht  und . Der Projektionsoperator belässt die s- Komponenten unverändert, währenddessen die p- polarisierten Komponenten die Linearkombination  konstruieren. Die s- und p- polarisierten Moden führen zu den jeweiligen Beobachtungs- Kombinationen, die konventionell mit p-p, p-s, s-p und s-s bezeichnet werden, wobei sich der erste Buchstabe auf die Polarisationen der einfallenden und der zweite Buchstabe auf die Polarisationen der emittierten Strahlung bezieht.

 

 

6.3            Bindungselektronen in kristallographischen Koordinaten

Die Berechnung erfolgt über triadische Produkte in Richtung der beteiligten Bindungen, d. h. den Bindungsvektoren, in der zugrunde gelegten kartesischen Basis mit den Basisvektoren e1, e2, e3 wird ein Tensorprodukt zugeordnet, der Form  mit . Unter Berücksichtigung ihrer Symmetrieeigenschaften und den heraus mittelnden ungeraden Projektionen, findet man für die Summierung über alle Bindungselektronen die einzelnen Polarisations- Komponenten zu:

 

(6.9)

 

Damit können wir auf die individuellen Bindungsbeiträge schließen und erhalten:

 

up- Bindung:

 

(6.10)

 

 

 

„down“- Bindungen:

 

(6.11)

 

(6.12)

 

(6.13)

 

Zur Berechnung der Quadrupolbeiträge die von der Oberfläche generiert werden, muss die Kristallrotation berücksichtigt werden. Den allgemeinen longitudinalen Beitrag für nichtzentrosymmetrische Materie erhalten wir über die makroskopische Polarisation, welche die Bindungstransformation für jede Bindung bj enthält:

 

(6.14)

 

mit  als Matrix, welche die Kristallrotation beschreibt und  als Rotationsmatrix um den Azimuthwinkel. Der Projektionsoperator ist an der Grenzfläche stetig und erhalten mit  für die Projektionen des einfallenden und emittierten Strahles in der Polarisationskombination pp folgenden Satz von Gleichungen:

 

(6.15)

 

(6.16)

 

Das einfallende und emittierte Feld der „up“- Bindung genügt folgendem Satz von Gleichungen:

 

(6.17)

 

(6.18)

 

(6.19)

 

(6.20)

 

Für die Einfalls- und Emissionspolarisation erhalten wir insgesamt für die verschiedenen Bindungstypen:

 

up- Bindung:

 

(6.21)

 

„down“- Bindungen:

 

(6.22)

 

 

(6.23)

 

(6.24)

 

(6.25)

 

In dieser Modellbildung lassen sich die von der Oberfläche generierten Felder für alle vier Polarisations- Kombinationen pp, ps, sp und ss aufschreiben:

 

pp- Polarisation:

(6.26)

 

ps- Polarisation:

(6.27)

 

sp- Polarisation:

(6.28)

 

ss- Polarisation:

(6.29)

 

 

6.4            Spektral- Darstellung des SBHM

In diesem Abschnitt wird die Gültigkeit des Modells durch Anwendung der experimentellen SHG Daten von Lübke et al. [LBD94] für oxidierte vicinale (111) Si- Wafer beurteilt. Wie man sehen konnte, kann im Resonanzfall das Bindungselektron im anharmonischen Potential nicht mehr als reine komplexe Lorentzkurve zu einer bestimmten Energie E beschrieben werden. Deshalb wird die Multiresonanzform berechnet um höhere Energieresonanzen zu approximieren und wird auf SHG angewendet. Ein angelegtes optisches Feld bewirkt mit den gewählten Randbedingungen x=x0 eine Änderung der Position r der Partikelladung q. Für den nichzentrosymmetrischen Fall lässt sich  als Reihenentwicklung in  schreiben:

 

(6.30)

 

Mit den gemachten Annahmen für SBHM kann die Bewegung einer Bindungsladung qj mit der eindimensionalen Bewegungsgleichung für die j- te Bindung berechnet werden in Form

 

(6.31)

 

mit E als externes, zeitabhängiges optisches Feld und x als die Auslenkung der j-ten Ladung qj, aus der Ruhelage x0, entlang der Bindungsrichtung . Mit der Dämpfungskonstanten  wurde die dissipative Umgebung berücksichtigt. Die Lösungen zweiter und noch höherer Ordnungen  lassen sich über

 

(6.32)

 

und

 

(6.33)

 

im Rahmen des SBHM- Modells angeben mit

 

(6.34)

 

mit  als die harmonische Polarisation und  als die nichtlinearen longitudinalen Hyperpolarisierbarkeiten erster, zweiter bis n- ter Ordnung. Dies erlaubt uns die lineare Polarisation und die nichtlinearen Hyperpolarisierbarkeiten der j- ten Bindung neu anzugeben.

 

(6.35)

 

(6.36)

 

Damit kann man in einer verkürzten Notation für nichtzentrosymmetrische Medien schreiben und erhalten einen allgemein gültigen analytischen Ausdruck für die longitudinale virtuelle Störung gerader N- ter Ordnung mit

 

(6.37)

 

Um die SHG Terme in Abhängigkeit der Kristallkoordinaten messen zu können ist es notwendig das System weit weg von den Singularitäten zu betrachten, weil der Kristall im Übergangsgebiet für mehrere Atomlagen (i. d. R. 5- 6 Atomlagen) transparent wird. Deshalb ist folgende Approximation erlaubt [PAWA05]:

 

(6.38)

 

wobei noch die Kopplung der zugehörigen Resonanzen zu berücksichtigen sind.

 

(6.39)

 

Damit erhält man das vom rotierenden Kristall emittierte Licht in Kristallkoordinaten zu:

 

(6.40)

 

mit

 

(6.41)

 










Abbildung 62: Theoretische Modellberechnung der SHG Spektralgraphen beispielhaft für vicinale 5° (111) Si-SiO2 Oberfläche mit ss- polarisiertem Licht  (oben) und für sp- polarisiertes Licht mit  (unten) und Vergleich mit den experimentellen SHG Daten von Lübke et al [LBD94]; α = 11.7x103, L = 3.0, Δk = 0.667 (s-s): α = 34.0x103, L = 3.0, Δk = 2.330 (s-p) bei jeweils 765 nm. Die theoretische Rekonstruierung stimmt mit den publizierten Ergebnissen überein.

 

6.5            Diskussion und Zusammenfassung:

Ich beginne mit meinen Schlussfolgerungen dieses Abschnitts damit, was sich nicht durchführen ließ. Man bekam keine experimentellen Werte zur Untermauerung der neuen Erkenntnisse und inwieweit sich diese Erkenntnisse experimentell überhaupt bestätigen bzw. messen lassen (z. B. Hysterese). Nichts desto trotz konnten die Graphen der SBHM- Theorie verifiziert und der zugrundeliegende mathematische Formalismus bestimmt werden. Zudem wurden analytische Ausdrücke für die Hyperpolarisierbarkeiten und die emittierten hohen Harmonischen von tetraedrisch koordiniertem, optisch angeregten, vicinalem (111)- Silizium im SBHM- Modell bestimmt. Es konnte ein analytischer Ausdruck gefunden werden, mit dem es möglich war, für die verschiedenen Kombinationen der Polarisierbarkeiten die spektralen SBHM Kurven, in Abhängigkeit der Kristallgeometrie vorherzusagen. Die erhaltenen Ergebnisse wurden für den Fall 2. Ordnung (SHG) für die ss- und sp- Polarisationskombinationen mit den experimentellen Daten von Lübke et al. für SHG verifiziert [LBD94], welche mit den publizierten Ergebnissen übereinstimmen. Hystereseeffekte konnten hier nicht nachgewiesen werden, weil das von der Oberfläche emittierte Licht weit weg von Resonanzen, in Abhängigkeit der Kristallkoordinaten gemessen wurde.

 


TitelAbkürzungsverzeichnisDanksagungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Anhang

Copyright © 2008, 2009, 2010, 2011 by Peter Krampl,  www.mathematical-photonics.com. Die inhaltliche Zusammenstellung und Aufmachung dieser Publikation sowie die elektronische Verarbeitung sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf ausdrücklich der vorherigen, schriftlichen Zustimmung. Das gilt insbesondere für die Veröffentlichung, Vervielfältigung, die Bearbeitung und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme, jede Form der gewerblichen Nutzung, Nutzung als Grundlage für Lehrveranstaltungen, sowie die Weitergabe an Dritte - auch in Teilen oder in überarbeiteter Form. Das Copyright für hier veröffentlichte, vom Verfasser selbst erstellte Objekte bleibt allein beim Verfasser dieser Seiten.